9.12.1930 Solothurn - 12.7.2000 Bern

Nach der Grundschule in Biberist machte er eine Lehre als Glasmaler. Gleichzeitig mit Dieter Roth, Bernhard Luginbühl, Rolf Iseli und Rudolf Memprecht war er Kunstgewerbe-Schüler in Bern und bildete sich dann in der Malschule von Max von Mühlenen weiter. Von 1951-1968 war er als Glasmaler in Bern tätig und von 1955-1971 bildete er mit Peter Meier, Konrad Vetter und Robert Wälti die «Berner Arbeitsgemeinschaft». Anfänglich schuf Franz Eggenschwiler Bilder, Skulpturen und Grafiken in Anlehnung an den Konstruktivismus. Ab 1967 begann er, aus Fundgegenständen und Abfällen Assemblagen und Objekte zu gestalten und Schmuck anzufertigen.
Franz Eggenschwiler (1930) arbeitet seit 1951 druckgraphisch. Diese Blätter gehören zu seinen frühesten künstlerischen Arbeiten. Seinerzeit hatte er eine erste Ausbildung als Glasmaler und als Kunstgewerbeschüler in Bern beendet. Seither hat sich am Interesse des Künstlers für die Gestaltungseigenheiten des Bilddrucks nichts geändert. Was ihn (wie ja auch die anderen in dieser Ausstellung versammelten Künstler) bei der Sache hält, ist nicht die Vervielfältigungstechnik als solche, sondern das Ausschöpfen vielfältiger graphischer Wirkungen. An Auflagen seiner Drucke hatte Eggenschwiler in jenen Jahren ohnehin gar nicht gedacht. Bei ihm kam noch der Umstand hinzu, dass er während fast zwanzig Jahren zurückgezogen vom Kunstbetrieb arbeitete und sein Werk nur einem kleinen Kreis von Künstlerfreunden in Bern bekannt war.
So erklärt sich, dass von den frühen Druckwerken meist nur einzelne, kaum bekannte Handabzüge existieren. Eine Ausnahme bildet die Lithographie
Fische (1952), dies aber auch nur des äusseren Anlasses wegen: Die Graphik wurde nämlich 1953 in die zweite Nummer der Zeitschrift für junge Kunst
Spirale aufgenommen (und dort irrtümlicherweise auf dem Kopf stehend gedruckt). Ausser der Lithographie waren es Holz- und Linolschnitt, mit denen Eggenschwiler damals experimentierte. In der Mehrzahl sind es ungegenständliche, poetische Bilder, die, listig, Gegenstandsassoziationen aufkommen lassen, oft auch noch durch die Titelgebung gelenkt. Darin äussert sich schon eine Konstante in Eggenschwilers ästhetischem Selbstverständnis: die Vorliebe für Mehrdeutiges, fürs Umdeuten und Umwerten - mit einem Wort: für Unabgeschlossenes.
Dieser Hang zum Offenen entspricht seiner Begabung zum unvoreingenommenen Schauen, und diese Haltung entsprach den neodadaistischen Kunstströmungen in den fünfziger und sechziger Jahren. Indessen weitete Franz Eggenschwiler diese Grundsätze auch auf die kontruktivistischen Kompositionen aus, die er bis 1965 druckte. Ihre Sprache ist minimal, wenn waagrechte und senkrechte Linien, Diagonalen und ihre Kombinationen aleatorisch reden; komplexer ist sie in Variationen des Treppenmotivs und erst recht, wenn sich Würfelkonstruktionen und ihre Mutationen der Fläche anverwandeln. Nun sind eben diese Blätter nicht konstruktivistisch im strengen Sinn. Allemal sehen sie regelmässig aus und sind auf ihre Ordnungsgrade hin durchdacht. Zugleich aber sorgt das Prinzip des Instabilen häufig genug für «bestürzende» Wirkungen, die den Ernst des Ganzen erschüttern und das Ergebnis ins Unsichere verschieben. Die endgültige Ordnung und nichts mehr offen lassende Botschaft der ersten, inzwischen arrivierten Avantgarde der Geometrisch-Konstruktiven um Max Bill, fand sich angesichts solcher Irritationen zusehends in Frage gestellt.
In der Lithographie
Kleiner dreieckiger Mond (1957) genügt die optische Schubkraft eines winzigen, scheinbar beiläufig ausgesparten Weissdreieckchens, um den massigen Schwarzkosmos rundherum dem Pfeil nach in gleitende Bewegung zu versetzen. Besser als mit der Lithographie lassen sich die ästhetischen Ziele des Konstruktivismus, nämlich homogene Flächen und gleichmässige Linien ohne Spuren handwerklicher Arbeit, mit dem Siebdruckverfahren verwirklichen, das seit etwa 1960 weiter verbreitet war. 1964 druckte Eggenschwiler die Komposition
Sonnenrad als Serigraphie (wie die Technik auch heisst). Im wesentlichen ist dabei ein Würfel in der Ebene aufgefächert. Die abgestuften Gelb- und Ockertöne der Flächengliederung erwecken zwar den Eindruck vom Vortreten und Zurückweichen einzelner Partien, ohne indes die Vorstellung von einem geschlossenen plastischen Körper zuzulassen. Das Papierformat selber ist auf ungewöhnliche Weise in die Komposition einbezogen; das Blatt ist nämlich vertikal und horizontal im Verhältnis 2:1 und 1:1 gefaltet worden. Durch diesen Kunstgriff gewinnt die auf den ersten Blick schlichte Graphik Witz und Raffinement.
Schon 1955 hatte sich Franz Eggenschwiler mit drei anderen Künstlern, mit Peter Meier, Konrad Vetter und Robert Wälti zur Berner Arbeitsgemeinschaft (bis 1971) zusammengetan. Zum Konzept gehörte das gemeinsame Bearbeiten bestimmterThemen, und die Suche nach neuen Mitteln dafür führte 1966 zum gemeinschaftlichen Betrieb einer Photoreproanlage und einer Offset-Druckerei. Serigraphie und Offsetlitho sowie das Einbeziehen von Photographie in Druckprozesse wurden von Fachleuten und Sammlern zunächst nur widerstrebend als originalgraphische Verfahren anerkannt, weil sich darin die Grenzen zwischen handwerklicher und technisch automatisierter Herstellung verwischen. Vermisst wurde der Duktus der persönlichen Niederschrift, die man in solchen Hervorbringungen verloren glaubte. Nun garantiert aber keine Technik an sich künstlerische Echtheit: ob sie traditionell oder neu ist. Es ist der Künstler, der sie dazu tauglich oder untauglich macht. Franz Eggenschwilers Offsetdrucke gehören jedenfalls zum Innovativsten auf diesem Gebiet.
Er hatte darin für eine zeitlang die Ausdrucksebene gefunden, um jahrelang aufgesammelte Zivilisationsabfälle, entwertete oder andere unwerte Dinge, zu ebenso irritierenden wie irisierenden Kunstwerken zu verwerten. Gemeint sind gegen zweihundert meistens farbig changierende Offsetlithographien.
Oft gehen diese Drucke von photomechanisch reproduzierten Fundstücken aus, aber auch auf anderen Vorlagen, wie Zeichnungen oder Photos bauen sie auf. Offset-Blätter von solcher Qualität sind das Resultat eines ständig von präzisierenden Eingriffen gelenkten Arbeitsprozesses in mehreren Schritten: «Der erste - wesentlichste - geschieht in der Umsetzung des Sujets in den jeweils formatlich und tonwertig pointierten Offsetfilm, der zweite in der Entscheidung für die Skala der zu verwendenden Farben, die sowohl in mehreren Druckgängen von zuweilen mehreren Filmen flächig eingesetzt werden, wie auch in der Anwendung des Irisdruckes mit seinen koloristisch gleitenden übergängen erscheinen» erklärte Hans van der Grinten, einer der ersten Eggenschwiler-Sammler, den umständlichen Herstellungsvorgang.
1970 und 1971 entstanden die umfangreichen Mappenwerke, Eggenschwilers
Frauen sowie
UFO und
Faltungen, von Franz Eggenschwiler und Konrad Vetter gemeinsam erarbeitet. Bei ganz verschiedenem Aussehen erinnert doch manches in diesem ersten Hauptwerkkomplex des Künstlers ans konstruktivistische Frühwerk: zum Beispiel das spielerische Zitieren geometrischer Bildelemente in einem vorgefundenen Motiv
Schnittfaltensujet (1965 /71). Danach, ab 1975, betritt Franz Eggenschwiler ein ganz anderes Terrain. Seine Farbholzschnitte machten ihn zu einem populären Graphikkünstler der Gegenwart.
Franz Eggenschwiler
Geboren 1930 in Solothurn. 1946 bis 1951 Glasmalerlehre und Besuch der Kunstgewerbeschule in Bern.
1952/53 Malunterricht bei Max von Mühlenen in Bern, 1953 bis 1961 Lehrer an dessen Kunstschule und Glasmaler.
Bildet 1955 bis 1971 mit Peter Meier, Konrad Vetter und Robert Wälti die Berner Arbeitsgemeinschaft. Lebt seit 1973 mit Unterbrechungen in Eriswil.
1980/81 in Berlin. Seit 1981 Professur an der Kunstakademie in Düsseldorf.
Experimentiert als Künstler mit verschiedenen Medien.
Neben Zeichnungen und Druckgraphik entstehen Plastiken unter Verwendung von gefundenen Objekten. Verfertigt 1970/71 gegen 200 Offsetdrucke.
Beschäftigt sich seit 1975 mit dem Holzschnitt, vorwiegend als farbig irisierender Flächendruck.
Literatur
Düsseldorf 1985: Franz Eggenschwiler. Werke 1950 bis 1985.
Objekte, Schmuck, Zeichnungen, Druckgraphik. Ausstellungskatalog Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf 1985
Hans van der Grinten, Ufos, Frauen, Faltungen. In: Arbeitsgemeinschaft Franz Eggenschwiler, Peter Meier, Konrad Vetter, Robert Wälti.
Ausstellungskatalog Kunstmuseum Basel 1971, Seite 20
Quelle: Gegendruck - Graphische Sammlung der ETH Zürich
Franz Eggenschwiler ist am 12. Juli 2000 an den Folgen eines Hirnschlags in Bern gestorben.
Zu den Telefonzeichnungen von Franz Eggenschwiler
Seit über 20 Jahren, eigentlich von Anbeginn der künstlerischen Arbeit Franz Eggenschwilers geht neben dem Erschaffen von Objektsammlungen, Objekten und technisch perfekten graphischen Folgen und Einzelblättern die Entstehung von Telefonzeichnungen einher:
Beiläufige Kritzeleien,
gedankenlose Zeichnungen ohne zweckdienlichen Zusammenhang mit dem gleichzeitigen Gespräch,
automatische, mechanische Bewegungen der Hand, die einen Stift, einen Kugel- oder Filzschreiber oder was sich gerade anbietet, hält und damit auf herumliegende Zettel zeichnet.
Von allen Definitionen der Kunst mögen heute die der
Metapher der Schöpfung oder auch
Schöpfung an sich am wenigsten umstritten sein. Bei den Telefonzeichnungen Eggenschwilers handelt es sich nicht um die Sichtbarmachung einer gedanklichen Schöpfung, sondern um das zwar grundsätzlich gewollte, aber im Einzelnen absichtslose Entstehenlassen von Zeichen und Formen durch den Künstler.
Dies ist eine persönliche Konsequenz aus der für einen grossen Teil der Kunst unseres Jahrhunderts lapidaren und programmatischen Feststellung Picassos:
Ich suche nicht, ich finde. Picasso aber ist auf andere Weise fündig geworden als Eggenschwiler. Er hat wahrend der zeichnerischen oder malerischen Arbeit an bestimmten Themen auf Papier und Leinwand Entdeckungen gemacht. Eggenschwiler dagegen fallen sie sozusagen auf das Papier, während er irgendwelche Gespräche führt: Schöpferische Formfindung in Situationen künstlerischer Entspannung.
Wenn Eggenschwiler am Telefon zeichnet, befindet er sich in einem bestimmten Zustand zwischen künstlerischer Aktivität und denkerischer Passivität. Er ist aktiv, indem er ein Stück Papier zur Hand nimmt und einen Stift ergreift, um damit die äusserliche Voraussetzung für die Entstehung einer Telefonzeichnung zu schaffen. Er ist passiv in dem Sinne als er seinen Gedankenapparat während des Zeichnens gleichsam auf einen andern - mehr oder weniger eng benachbarten - Kanal umschaltet, den des Gesprächs. Hirn und Hand sind nicht mehr zu einer rationell erfassbaren Handlungseinheit verbunden. Die Hand hält sich für ein breiteres Spektrum von Impulsen bereit.
Viele Menschen machen Telefonzeichnungen oder Zeichnungen während Sitzungen, zur Entspannung, zur Ablenkung oder um sich zu amüsieren. Innerhalb der Arbeit dieser Menschen sind solche Zeichnungen Nebenprodukte, an denen der Freundeskreis seinen Spass und der Psychiater sein Interesse findet. Eggenschwiler aber misst seinen Telefonzeichnungen eine entscheidende künstlerische Bedeutung zu und dokumentiert dies dadurch, dass er Signatur und Datum anbringt. Diese Massnahme ist die Umkehrung dessen, was Marcel Duchamp tat, als er banale Objekte, die
Ready mades, als Kunstwerke bezeichnete und behandelte und damit Würde und Bedeutung des Kunstwerks ins Lächerliche zog; für Eggenschwiler dagegen birgt selbst die unscheinbarste Telefonzeichnung die Bedeutung und Keimkraft eines Kunstwerks.
Man könnte diese Zeichnungen deshalb am ehesten mit
Objets trouvés vergleichen. Die Telefonzeichnungen sind Dessins trouvés, die auf einer Ebene zwischen menschlicher Natur und menschlichem Formwillen gefunden werden. Diese Zwischenebene entzieht sich den Kategorien des
freien und des
gelenkten Zufalls, mit denen man die Kunstwerke aus
Objets trouvés zu beschreiben versucht.
Aber wie die
Objets trouvés so werden auch die Dessins trouvés zu Anregern von künstlerischen Objekten und graphischen Blättern Eggenschwilers. Andere Künstler des 20. Jahrhunderts haben andere
Zwischenebenen auszubeuten versucht, so etwa Henri Michaux in seinen Zeichnungen, die er unter Einwirkung von Meskalin geschaffen hat.
Der Begriff der Ausbeutung will nun freilich gar nicht zu Eggenschwiler passen. Seine Methoden der Aneignung von Formen und Materialien aus jenen Bereichen, die ihm zur Verfügung stehen, sind ein von Liebe und ehrfürchtigen Fragen und Ahnungen getragenes Sammeln. Seine Haltung gegenüber der Natur und den geistigen Kräften, durch die sie bewirkt und von denen sie erfüllt ist, kennzeichnet sich durch eine stete Empfangsbereitschaft für alle Arten von Botschaften und Strahlungen. So ist auch der dem beabsichtigten Zweck entzogene Abfall für ihn eine Art Medium zurück zu den geistigen Potenzen.
Neben meiner konstruktiven Phase habe ich auch unentwegt als Spurenleser Abfälle der menschlichen Zivilisation und Kultur gesammelt, sagt er zu Karl Gerstner.
Um sie zunächst photographisch umzusetzen. Und später in Objekten zu verwerten. Das gleiche Interesse dem äusserlich Niedrigen und Verachteten gegenüber und dasselbe Bestreben, die geistigen Kräfte darin sichtbar werden zu lassen und im Kunstwerk zu erhöhen, kennzeichnet Eggenschwilers Achtung vor der unscheinbaren Telefonzeichnung.
Mit dem Reizwort Skizze entlockte ihm Bernhard Hahnloser die folgenden Sätze:
Delacroix hat als erster verlangt, dass sie als vollwertiges Kunstwerk anerkannt werde. Es gibt eine Kursivschrift, die ist persönlich - und eine Kapitalschrift, die ist Offzialschrift. Aber die unbewusste Telefonzeichnung hat so viel Bedeutung wie die Schrift die stolz mit feierlichem Chorgesang daherkommt. Der Autoritätsbegriff ist gesellschaftlich untergegangen, um so mehr fühlen wir uns animiert zu flüchtiger Formensprache. Man kann andererseits dürchaus simple Inhalte in vollendeter künstlerischer Aussage darbringen. Welches von beidem? Künstlerische Narrenfreiheit.
Diese Offenheit und dieses Ernstnehmen der
flüchtigen Formensprache hat Eggenschwiler zu der Pflege der Telefonzeichnung als künstlerische Gattung geführt. Die Zeichnungen als
selbständiges Kunstwerk oder gar als Paradestück künstlerischer Virtuosität fehlt in seinem Oeuvre. Auch die verhältnismässig wenigen Zeichnungen, die nicht als Telefonzeichnungen entstanden sind (etwa mit Zeichnungen versehene Widmungen in Katalogen u. ä.) entsprechen in ihrem Stil der Telefonzeichnung. Lediglich der gezielte Inhalt in Bezug auf den Empfänger oder auf den Inhalt des Buches unterscheidet diese Zeichnungen von den anderen. Die formale Erhöhung der Zeichnung und deren Umsetzung ins grosse Format geschieht durch Mittel der Druckgraphik. Erst dadurch erhält die Zeichnung im Schaffen Eggenschwilers ihren
Offizialrang.
Jede Betrachtung von Zeichnungen Eggenschwilers ist ein Blick hinter die Kulissen. Diese Zone hinter den Kulissen befindet sich zwischen dem Bühnenraum der künstlerischen Reflexion und dem Mechanismus der vom Auge nur flüchtig gelenkten automatischen Formwerdung.
Es scheint, dass ein einmal gezogener Strich oder ein ganz einfach gezogenes Strichgefüge auf dem leeren Papierstück den folgenden zeichnerischen Vorgang und damit die Struktur des
Endprodukts weitgehend determiniert. Entsprechende Gesetzmässigkeiten liessen sich schon in dem 1979 erschienenen Band
Prelüren erkennen. Der hier vorliegende Band vereinigt indessen die grösste bisher publizierte Sammlung von Zeichnungen Eggenschwilers.
Ein äusserliches, aber deshalb nicht minder ernst zunehmendes primäres Merkmal ist das Format. Die Zeichnungen befinden sich ausnahmslos auf kleinen Papieren und Papierschnitzeln. Dies steht im diametralen Gegensatz zu einer anderen Bewegung automatischer Formfindung in der Malerei des 20. Jahrhunderts: Action painting. Eggenschwiler ist nicht der Mann der ausfahrenden Geste und der zeichnerischen Bravour, noch der Hingabe an den materialbedingten Zufall.
Von Anfang an zielt der zeichnerische Vorgang auf kleine geschlossene Formen oder streng strukturierte Muster ab. Dieser Wesenszug ist eine Zelle zu den grossformatigen Kompositionen, den Riesenobjekten, besonders den Kästen, in denen in sich geschlossene und eingehegte Organismen miteinander verbunden und übereinander geschichtet werden. Innerhalb der zellenartigen Kleinheit der Telefonzeichnungen herrscht das formale Ordnungsprinzip, das auch die andern Werke beherrscht und kennzeichnet: die Parallele.
Damit ist nicht nur die Parallele im mathematischen Sinn gemeint, sondern auch die Parallele im übertragenen Sinn: Entsprechung, ähnlichkeit, Symmetrie.
Dieser Befund an den Telefonzeichnungen macht auch verständlich, weshalb Eggenschwiler während einiger Zeit am Beginn der 1960er Jahre rein geometrische Kompositionen schuf, im Bestreben, die Struktur aus allen Schlacken und Unebenheiten des Lebendigen herauszuschälen und in ihrer Reinheit sichtbar zu machen.
Immer wieder entwickelt die Hand während dem Gespräch am Telefon aus einer Linie oder einer Form eine Parallele, eine Symmetrie, eine Wiederholung oder eine Variante. Der fast zögernde Strich lässt erkennen, dass selbst bei diesem nur teilweise kontrollierten zeichnerischen Vorgang keinem Gefühlsausbruch, keiner Aufwallung und keiner Ekstase stattgegeben wird.
Die Aufzeichnung nach dem unsichtbaren Idealbild wird sorgsam durchgeführt, oft mit der Andeutung eines imaginären Bildvierecks zusätzlich
im Rahmen gehalten. Diesem generellen Charakter entspricht auch der Rhythmus der Formenabfolge im Bildraum: quirlend, tänzerisch, schwebend, feingliedrige Regelmässigkeit eines engmaschigen Musters, zierliche Monumentalität. Gravitätisches Einherschreiten, massige Präsenz, perspektivische Fluchten sind ironisiert oder von gegenteiligen Strukturen durchkreuzt. Meistens ist die Linie in ihrer Reinheit bewahrt.
Innerhalb dieser grundsätzlichen Eigenschaften sind die Telefonzeichnungen Eggenschwielers von grösster Vielfalt. Jede ist neu und bedeutet das Festhalten eines einmaligen, unwiederholbaren Augenblicks auf dem Papier.
Dabei lassen sich gewisse Gruppen bilden, die sich allerdings teilweise auch überlagern: Ornamentales, Verschachtelungen,
Formes découpées, innerhalb des Gegenständlich-Assoziativen Antropomorphes, Erotisches, Landschaftliches, Architektonisches. Solche Gruppen lassen sich auch in den Objekten und selbstverständlich in der Graphik bilden.
Am schwierigsten ist die Frage nach der Entwicklung im Laufe der Zeit zu beantworten. Es sind in solcher Tiefe des Lebensstroms dieses Mannes zwischen 25 und 50 Jahren nur Nuancen, die sich verändern, während an der Oberfläche - im körperlichen Aussehen, in den Lebensumständen, in den künstlerischen Realisierungsmöglichkeiten - scheinbar grundlegende Umwälzungen festzustellen sind. Die früheren Zeichnungen sind etwas weniger klar und eindeutig formuliert, die späteren zeugen von wachsendem Vertrauen in das Medium der Telefonzeichnung, deren Bedeutung erst in den 1970er Jahren von einem breiteren Kreis wahrgenommen wird.
Wie behutsam Franz Eggenschwiler mit den Mächten umgeht, die sein Schaffen aus Sphären, die dem unmittelbaren Bewusstsein entzogen sind, lenken, geht daraus hervor, dass er auch heute noch keine Anstalten trifft, diese Quelle der Inspiration auszubauen und systematisch zu erschliessen. Er begnügt sich nach wie vor mit der bescheidenen Rolle des Empfängers mit zufällig vorhandenen Papierabfällen, Notizzetteln und Schnipseln und irgendwelchen Schreibutensilien. Die Geister vermitteln ihre Botschaft nur in diesem lebendigen Wirkungskreis des Zufalls und nicht im Labor des modernen Menschen.
Hans Christoph von Tavel